Schächten

Auszug aus einem SPIEGEL-Interview
mit dem Veterinär Dirk Stegen über den Widerstand der Amtstierärzte

in SPIEGEL 7/2003, S. 136f.

Stegen: Zwingende religiöse Gründe, wie sie auch das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, waren nicht schlüssig dargelegt.
SPIEGEL: Nach welchen Kriterien entscheiden die Veterinäre?
Stegen: Die Ministerien haben die ganze Last auf uns verlagert. Nun sollen wir fundiert beurteilen, ob Muslime eine "substanziierte und nachvollziehbare" Begründung vorbringen.
SPIEGEL: Und was für Gründe gelten als "nachvollziehbar"?
Stegen: Die Muslime müssen zwar keine Fundstelle im Koran vorweisen, nach der betäubungsloses Schlachten Gebot ist - die gibt es laut Auskunft islamischer Religionswissenschaftler auch gar nicht. Der Antragsteller darf jedoch niemals zuvor "haram"-Ware, also das Fleisch betäubter Tiere, verzehrt haben. Er muss ferner aufzeigen, dass es für ihn schwer wiegende Konsequenzen hätte, wenn er betäubte Tiere schlachten würde - etwa den Ausschluss aus seiner Religionsgemeinschaft oder Repressalien.
SPIEGEL: Welche Rolle spielt nun die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz?
Stegen: Dass Tierschutz Staatsziel geworden ist, erleichtert uns die Ablehnung von Schächt-Anträgen. Veterinäre können sogar, wenn sie das Schächten aus ethischen Gründen grundsätzlich nicht akzeptieren, jeden Antrag ablehnen - und das tun sehr viele, weil das betäubungslose Schächten nie tierschutzgerecht sein kann: Es ist mit erheblichen Schmerzen und Erstickungsanfällen verbunden.
SPIEGEL: Vorgeschrieben sind auch praktische Prüfungen?
Stegen: Ja. Die muslimischen Metzger müssen, wie ihre deutschen Kollegen, den Sachkundenachweis erbringen, der auch das tierschutzgerechte Zutreiben und Behandeln der Schlachttiere einbezieht. So sollen etwa Schafe zwischen die Knie genommen, nicht aber am Vlies gepackt werden, weil sie da hochempfindlich und verletzbar sind. Alle Muslime sind bei der letzten Prüfung auf unserem Schlachthof durchgefallen: Die interessierten sich nur fürs Schneiden.
SPIEGEL: Erlaubt der Koran denn, dass Tiere beim Schächten leiden?
Stegen: Er schreibt rücksichtsvollen Umgang mit den Tieren vor. Stattdessen waren die Messer der Prüflinge oft zu stumpf, oder sie wurden nicht richtig gehandhabt. Die Metzger mussten am betäubten Prüfungstier mehrfach nachschneiden. Dass da Defizite bestehen, zeigt auch der Ablauf der Opferfeste in den islamischen Ländern selbst: Weil blutende Opfer ihren ungeübten Schlachtern quer durch die Stadt davonlaufen und ein unschönes Bild abgeben, sollen in Istanbul diesmal städtische Helfer die flüchtenden Tiere einfangen.
SPIEGEL: Wie haben die muslimischen Metzger die Ablehnung aufgenommen?
Stegen: Sie schlachten jetzt wieder mit Betäubung. Die Türken sind durchaus obrigkeitshörige Menschen. Wenn die Behörde sagt, das geht nicht, akzeptieren sie das. Die durchgefallenen Prüfungskandidaten haben mit dem Kopf genickt und sind rausgegangen - in drei Monaten können sie wiederholen.
SPIEGEL: Hat das Karlsruher Urteil, wie damals behauptet, die Integration gefördert?
Stegen: Im Gegenteil. Das Beharren auf diesem unzeitgemäßen Anspruch führt bei der Bevölkerungsmehrheit zu Unverständnis. Es wollten ja immer nur wenige ohne Betäubung schächten - und die hatten sich, abgesehen von Altinküpe, damit abgefunden, dass es nicht erlaubt wurde. Wenn das Verfassungsgericht dieses Urteil nicht gesprochen hätte, wäre das überhaupt nicht zum Problem geworden.
SPIEGEL: Müssen sich die Veterinäre nun auf Klagen der islamischen Verbände einrichten?
Stegen: Eine solche Klage wäre durchaus willkommen, ich halte sie für einen sehr vernünftigen Weg zur weiteren Klärung der Rechtslage. Im Übrigen: Wenn die Veterinärämter nur genügend Rückgrat haben und begründet zurückweisen, wird das Gerangel um betäubungsloses Schächten in ein, zwei Jahren kein Thema mehr sein.