Umweltbildung zwischen privater Moral und politischer Bildung

Von Johann-Wolfgang Landsberg-Becher

Während beliebte Gepflogenheit in Kommentaren es ist, Umweltschützern ihre eigene halbherzige Praxis umweltunverträglicher Verhaltensweisen vorzuhalten oder gar diesbezüglich doppelte Moral vorzuwerfen, wird umgekehrt gerne darauf verwiesen, daß mit derartigen Individualisierungen gesellschaftliche Fragen sachwidrig entpolitisiert werden. Die einen rufen, daß der Umweltschutz bei jedem einzelnen anfinge, während die anderen umfassende allgemeinverbindliche Regelungen einklagen.

Genausowenig wie diese Kontroverse in der Vergangenheit umweltpolitisch erfolgreich war, war sie zutreffend. Die unsinnige Gegenüberstellung zwischen individuellen Verhaltensweisen einerseits und politischen Weichenstellungen andererseits hat nicht nur Kräfte gebunden, sondern - was viel schlimmer ist - dringend benötigte Phantasie nicht walten lassen.

Beide Positionen wähnen, mit mehr und erfolgreicher vermittelter Informationen die von ihnen ersehnten umweltschonenden Verhaltensänderungen der Menschen auslösen zu können. Dabei werden aus dem Kreis naturkundlich engagierter Umweltschützer Zersplitterung und Intellektualisierung derzeitigen Denkens beklagt. Besonders sie wünschen sich Ganzheitlichkeit und viel mehr Sinnlichkeit bei der Wahrnehmung. Diese können dann die vielfältig beklagten ausgebliebenen Erfolge umweltgemäßer Verhaltensänderungen ermöglichen; Erfolge, die für eine ökologische Wende besonders bei der Jugend - also wohl über die Schule - so dringend und schon längst überfällig sind.

Im Folgenden möchte ich vor allem die Frage nach Individualisierung oder Politisierung verfolgen, dabei werde ich auch das Problem zu diskutieren haben, daß zwischen den Einstellungen der Menschen und ihrem tatsächlichen Verhalten oft eine unübersehbare Lücke klafft und welche Bedeutung dabei die Umweltbildung im allgemeinen und die Schule im besonderem einnimmt.

Nach der beliebten These, mit Aufklärung das Verhalten der Menschen verändern zu können, geht es offenkundig zunächst um die

Vermarktung von Umweltbildung.

Aufgabe von Produktdesignern ist es, ihre Waren so zu verpacken, daß diese möglichst oft gekauft werden. Bei der Beantwortung der Frage, was denn die potentiellen Kunden wünschen, ist zu klären, wer diese denn seien. Die Vielfalt der Lebensstile wird u. a. mit der Schichtenzugehörigkeit und der Wertorientierung erklärt (s. Abb.) und führt zu sehr unterschiedlichen Marktstrategien. Wer die Zielgruppe verfehlt, geht im Wettbewerb unter, das zeigten die Bemühungen des Chrysler-Konzerns, den Opel vom Hautgout des Biedermanns, und die von "4711", sich vom Odor des "Uralt-Lavendel" zu befreien. Selbst für ein so einfaches technisches Gerät wie die Schreibmaschine sind Typenhebel und Deckel extra für unterschiedliche Milieus entwickelt worden. Um wieviel vielfältiger sind dann umwelterzieherische Botschaften zu präsentieren? Wieviel komplexer und mehrdimensionaler müßte die Abbildung sein, wenn sie nicht die Veränderung des Produktes, sondern das umweltgerechte Verhalten darstellen müßt?

Low-budget und Moral

Das Bemühen um Handlungsorientierung in der schulischen Umwelterziehung ist stark von der Überzeugung geprägt, erfolgreicher bewußtseinswandelnd und damit verhaltensändernd zu wirken. Allein schon die Tatsache, daß die Akteure dieser Maßnahmen, die Lehrer, auch die umweltbewußten, in ihrer Lebenspraxis dies widerlegen, indem sie u. a. zwar Müll trennen, vielleicht auch radeln, oft jedoch in die Ferne jetten, muß Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Konzeptes aufkommen lassen, Zweifel, die grundlegender begründet werden sollen.

Zur Eindämmung der stark wachsenden problematischen ökologischen Folgen des wirtschaftenden Menschen werden ordnungspolitischen Forderungen nach staatlichen Ge- und Verboten und auf den einzelnen zielende Aufforderungen zu umweltverträglichem Verhalten eingefordert. Diese beiden Forderungen werden zunehmend häufiger um die nach marktpolitischen Instrumenten, Ökosteuern, Umweltzertifikaten, Lizenzen für Inanspruchnahme der Umwelt etc. erweitert. Hierbei wird das Ziel verfolgt, mit positiven Regelungen eine Veränderung von Produktion und Dienstleistung zu initiieren und steuerlich zu unterstützen, statt wie bisher zu hemmen. Es soll die Umweltbelastung in Rechnung gestellt und damit in der Konkurrenz der Anbieter derjenige entlastet werden, der am umweltfreundlichsten sein Produkt auf den Markt bringt.

Damit wird relativ zum Angebot der Konkurrenz umweltbewußtes Wirtschaften bei der Preisbildung entlastet. Während preisgünstige Produktion und Dienstleistungen bisher nahezu ohne Kosten auf die Güter der Erde, Wasser, Luft, Erde, Biomasse zurückgriffen, war umweltverträgliches Wirtschaften mit Kosten belastet. Begründet ist dieser marktwirtschaftliche Widersinn im Charakter des öffentlichen Gutes der natürlichen Rohstoffe, die jedem zur Verfügung stehen.

Nunmehr würde die Inanspruchnahme der Umwelt kostensteigernd wirken und umweltfreundlichere Produkte und Leistungen in Preisvorteil bringen. Diese Sichtweise ist unter ökologisch-ökonomischen Fragestellungen in keiner Weise originell und häufig unter den Stichworten volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Ökobilanz, Internalisierung bisher externalisierter Kosten etc. geführt worden. Eine derartige rentabilitätsorientierte Sichtweise zeichnet wirtschaftliche Institutionen der Menschen gleichermaßen wie die Menschen selbst aus. Umweltorientierung ist mithin kein Ergebnis umsichgreifender Selbstlosigkeit, sondern ökonomischen und sozialen Wandels.

Eine rentabilitätsorientierte Sichtweise ist nicht zwingend Ergebnis bewußten rechnerischen Abwägens, sondern kann oft eine hinter dem Rücken der Akteure sich vollziehende Lebenspraxis sein. In ihrem Bewußtsein handeln die Menschen zwar umweltverträglich, sammeln z. B. Alu-Deckel, die sie dann aber mit dem PKW durch die Stadt zur Sammelstelle bringen. Auch der Verzicht auf das Auto bringt wenig, wenn man gleichzeitig an Fernreisen mit interkontinentalen Flügen festhält. Der Ersatz eines alten Haushaltsgroßgerätes durch ein neues energiesparendes, FCKW-freies Gerät erfüllt eher Bedürfnisse nach Konsum als die der Umwelt.

Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, sie erklärt auch die oben erwähnte Kluft zwischen dem Bewußtsein und dem Verhalten vieler Lehrkräfte oder auch den Umstand, daß die Mehrheit der Deutschen (84 %) meint, sich ökologisch angemessen zu verhalten, 60 % der Befragten dies jedoch den Mitmenschen absprechen. In einem Experiment boten Propagandisten einer Tarnfima beim Haustürverkauf FCKW-haltige, angeblich wegen eines baldigen Verbots bedrohte und im Preis deutlich herabgesetzte Artikel zum Verkauf an. 77 % der Kaufinteressierten wußten um das Problem der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe und 55 % erklärten, umweltverantwortlich handeln zu wollen.
Derartige Widersprüche werden oft beklagt, die umwelterzieherischen Konsequenzen jedoch meist daraus nicht gezogen. Die Lehre ist eindeutig. Umwelterziehung wird immer auf veränderte Verhaltensweisen abzielen und hat dann, sofern sie nicht zum Scheitern verurteilt sein will, die rentabilitätsorientierte Sichtweise der Menschen miteinzukalkulieren.

So stellt sich die Frage nach den zumutbaren Kosten . Die oben benannten Beipiele, wie das der Fahrt mit dem Auto zum Recyclinghof, zeigen eine gezielte Aufmerksamkeit für einige Umweltbelange bei gleichzeitiger Aussparung der Wahrnehmung anderer Gesichtspunkte, ein Indiz für das sich hinterrücks durchsetzende Rentabilitätsdenken. Die Kosten - finanzieller wie auch persönlicher Aufwand - für die Gestaltung des umweltverträglicheren Gesamtverhaltens sind offenkundig zu hoch; so werden zur Vermeidung innerer Gewissenskonflikte die die eigene Harmonie störenden Bereiche gar nicht mehr wahrgenommen und die eigene Aufmerksamkeit auf einzelne u. U. weniger bedeutende Bereiche umweltbewußten Verhaltens gelenkt.

Die Lösung dieses Konfliktes oftmals nicht zumutbarer - zumindest auch von anderen nicht getragener - Kosten wird nicht durch verstärkte Handlungsorientierung und reformpädagogische Bemühungen um ganzheitliche und Wahrnehmung mit vielen Sinnen, sondern durch die Veränderung der Kostenbilanz erfolgen können. Dies, so lehrten die ökologisch-ökonomischen Überlegungen, wird lediglich zu einem kleinen Teil über Verbote und Gebote sowie über individuelles Verhalten zu regeln sein. Entscheidend sind die marktpolitischen Instrumente, die Kosten der Nutzung und Belastung der Umwelt nicht mehr auf den Staat und damit auf den Steuer zahlenden Bürger abwälzen zu lassen, sondern tatsächliche marktgerechte Preisbildung herzustellen, mithin die private umweltgerechte Investition zu fördern, indem Nutzung und Schädigung Nutzern und Verursachern in Rechnung gestellt werden.

Um diese Instrumente zum Einsatz kommen zu lassen, muß dieser aus ökologischen Gründen eingeforderte Wandel politischer Entscheidungen von einem Prozeß begleitet sein, für den dafür in der Bevölkerung um Zustimmung zu werben ist. Bekannte Beispiele für derartigen Wandel waren in der Vergangenheit die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung, die Anschnallpflicht im Auto, phosphatfreie Waschmittel, bleifreies Benzin, Abgasuntersuchungen in Heizungsanlagen und Kraftfahrzeugen sowie die Verpackungsverordnung.

Das Wissen um das ökologische Problem und um die eigene Halbherzigkeit, z. B. die oben erwähnten, an einem billigen FCKW-haltigen Produkt interessierten 77 % Kaufwilligen, bedingen einen inneren Konflikt oder auch ein schlechtes Gewissen. Gesamtstaatliche Regelungen befreien den einzelnen von derartigen Gewissenskonflikten, indem die Entscheidungen getroffen sind und den Einzelnen zu umweltgemäßem Verhalten zwingen. Bei der Inkraftsetzung staatlicher Regelungen für den Umweltschutz sollte man auf diesen entlastenden Effekt bauen, ja man sollte ihn vorsätzlich nutzen. So mag eine ökologisch sinnvolle Maßnahme zwar zunächst weh tun, der Entlastungseffekt hat jedoch die Akzeptanz unter einem Teil der Bevölkerung angebahnt, die für die alle vier Jahre wiederzuwählenden Politiker so wichtig ist.

Die 15 Jahre dauernde Auseinandersetzung um den Sicherheitsgurt im Auto endete mit der bußgeldbewehrten Anschnallpflicht auf den vorderen Sitzen. Erst dann konnte von einem Erfolg gesprochen werden. Diese gesetzliche Regelung setzte jedoch voraus, daß wachsende Teile der Bevölkerung zumindest grundsätzlich bereit waren, sich anzuschnallen. Es wurde möglich, auch angeschnallt Auto zu fahren, ohne gleich als Angsthase zu gelten. Dieser Wandel war notwendig geworden, um die Strafbewehrung überhaupt politisch durchsetzen zu können. Das Gleiche wird mit Parkraumbewirtschaftungskonzepten geschehen.

Damit es jedoch überhaupt zu einem Gewissenskonflikt und derartigem Wandel kommen kann, bedarf es der Kenntnis der jeweiligen Probleme. Die Vermittlung dieser Erkenntnis setzt öffentliche Aufklärung und Bewußtseinsbildung voraus. In der Unterstützung dieser Aufklärung liegt eine wesentliche Bedeutung der Umweltbildung, auch der schulischen. Ziel ist es, diesen längerfristigen Prozeß der Problemorientierung mitzuvermitteln. Dies zeugt von der Nähe politischer und ökologischer Bildung.

So werden die Erfolge der Umweltbildung vornehmlich nicht im konkreten Handeln zu suchen sein, sondern vor allem in der erweckten Bereitschaft, ökologisch notwendige Maßnahmen zu akzeptieren oder zumindest zu tolerieren, was also neben den bisher in der Schule gepflegten naturwissenschaftlich-technischen Aspekten die Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und rechtlicher Fragen verlangt.

Vielfalt von Lebensstilen

Bei der Frage nach der Vermarktung von Umweltbildung wurde auf das individuelle Milieu hingewiesen. Bei der Frage nach den für den Umweltschutz zumutbaren Kosten wurden die individuell unterschiedlichen finanziellen Kosten und der ebenfalls persönlich unterschiedliche Aufwand deutlich. Dies alles sind Eigenschaften, die Lebensstile kennzeichnen. Reiche und Rohstoffe verbrauchende Gesellschaften zeichnen sich durch große Vielfalt der Lebensstile aus.

Die Bildungsreform am Ende der Ära des Wirtschaftswunders, die Zunahme des Wohlstandes in der Nachkriegsära und der damit verbundene Ausbau des Wohlfahrtsstaates sowie die Frauenbewegung und zunehmende Bedeutung der Frauen im öffentlichen Leben haben das private Leben grundlegend gewandelt und die Lebensstile pluralisiert. Diese Individualisierung ist die Frucht der Aufklärung, die Wertschätzung des Einzelnen, allerdings auch mit den daraus resultierenden sozialen und ökologischen Folgen.

Mit einer derartigen Sichtweise werden die oben beispielhaft angedeuteten Unterschiede zwischen Bewußtsein und Verhalten verständlich. Diese sind zunächst vom Beobachter mit seinem eigenen Wertesystem wahrgenommene Widersprüche des Verhaltens Anderer. Die eigenen, im bisherigen Leben erworbenen Werte, das Wissen (dessen Bedeutung oft unterschätzt wird), die innere Güterabwägung, mithin die Kostenbilanz incl. des "Preises des schlechten Gewissens", all das ist für den Außenstehenden nicht ersichtlich, bestimmt jedoch das Verhalten des Einzelnen.

Dies macht verständlich, warum für den Einzelnen sinnvolles Verhalten, die Begrenzung der Kosten und des Aufwandes für umweltgerechtes Verhalten, dem Beobachter als Widersprüchliches erscheint. So wird nachvollziehbar, warum der Sammler von Alu-Deckeln diese mit dem PKW zum Recyclinghof bringt, oder ich zwar viel ÖPNV und Fahrrad fahre, jedoch auch gerne Ski laufe.

Liebgewonnene Welt- (oft leider Feind-)bilder und naheliegende Vermutungen entpuppen sich als äußerst subjektive und höchst willkürliche Annahmen. Nur ein Fünftel der Umweltbewußten gehören dem in der publizierten Öffentlichkeit Ton angebenden alternativen Milieu an, dessen Mitglieder ebenso häufig wie die übrige Bevölkerung "Mc Donalds" aufsuchen. Die übergroße Mehrheit der Umweltbewußten stellen die "Traditionell Wertorientierten" mit 44 % und die "Naturbesorgten Traditionalisten" mit 34 %. So liegt die Vermutung nahe, daß es überhaupt keine reale einheitliche Größe "Umweltbewußtsein" gibt und diese bisherige gedankliche Annahme dahingehend zu erweitern ist, daß es eine Vielzahl unterschiedlicher Formen des Umweltbewußtseins gibt.

Aufsteiger und vielseitige Konsumenten wollen oft Genuß und Öko und verhalten sich dabei nicht selten sachrational, kostensparend, high-tech-interessiert und damit umweltschonender als Alternative, deren mangelnder Umgang mit Technik dem eigenen Wandel des Lebensstils entgegensteht. Aus einem derartigen "ökologischen Pluralismus der Lebensstile" ist Kapital zu schlagen, indem vielfältige Lebensstil-Veränderungen verstärkt und staatlich abgesichert werden. Wer dieser Vielfalt gerecht werden will, wird unterschiedliche Zugänge suchen müssen.

So soll angesichts der mageren Ergebnisse bisheriger umweltpädagogischer Bemühungen diskutiert werden, inwiefern Handlungsorientierung überhaupt eine zutreffende Strategie ist.

Handlungs- und Problemorientierung

Handeln ist besonders dann wichtig, wenn beabsichtigte Verhaltensänderungen bisherigen Ansichten und Gewohnheiten entgegenstehen. Handlungsorientierung hat auch den Vorteil, daß die vermittelten Informationen und Botschaften nicht als theoretische, vielleicht auch beliebige, in jedem Fall für das Leben unbedeutend erscheinen, sondern ihre Bedeutsamkeit in der Praxis gezeigt wird. Der Ruf nach einem handlungsorientierten Unterricht verfolgt das Ziel, daß dieser mehr überzeugt und mündige und ökologisch verantwortliche Verbraucher bildet, die sich im Idealfall politisch betätigen.
Bei dem 1986 begonnen, vielfältig betreuten und oft referierten Projekt der "Integrativen Umwelterziehung bei der Uhland-Hauptschule in Mannheim" erfuhr ich (erwartungsgemäß), daß die Schulabgänger genauso wie ihre Alterskollegen mit dem ersten Lohn darangingen, ein Moped zu kaufen. Auf ihre ökologisch orientierte Schule angesprochen, erklärten sie jedoch, daß sie sich gut vorstellen könnten, später, wenn sie eine Familie gegründet haben, auf Belange des Umweltschutzes (Auto, Waschmittel ...) zu achten.

Die Lehre ist vielfältig. Zunächst hat die Uhlandschule trotz allen Aufwandes nicht verhaltensändernd gewirkt. Dann haben die Schulabgänger darauf aufmerksam gemacht, daß die Praktizierung der von ihnen erwünschten Verhaltensweisen von ihrer Lebenssituation abhängig sei, eine dem oben dargestellten Konzept der Lebensstile entsprechende Einschätzung.

Bemerkenswert ist auch die Form der Vorzeitigkeit, nach der die Schüler Entwicklungsspielräume für ihr späteres Verhalten für möglich halten, gleichzeitig sich dabei aber an der Lebenswelt der jetzt lebenden Eltern- und Lehrergeneration orientieren.

Schließlich, und das ist für die Schule sehr wichtig, haben die Schulabgänger darauf hingewiesen, daß sie sich in diesem am Lebensstil orientierten Kontext Auswirkungen ihrer Schulzeit vorstellen können. Wenn dies zutrifft, und hierbei ist die Uhlandschule nur beispielgebend, ist folglich schulisches Bemühen um Umwelterziehung für individuelle Einstellungsänderungen sinnvoll, auch wenn keine direkten verhaltensändernden Auswirkungen sofort feststellbar sind.

Ganz anders stellt sich die Frage nach den gesellschaftlich zu regelnden Teilen der Umweltprobleme. In einem bissigen Kommentar fordert Ulrich Beck "eine Prise Macchiavellismus für die fade Ökologie" und bemängelt die immer noch fehlende Politikfähigkeit. Er zitiert dabei Gottfried Benn, der die deutsche Zukunft beschrieb: "Kleinbausiedlungen, darin durch Steuergesetze begünstigter Geschlechtsverkehr, in der Küche selbstgezogenes Rapsöl, selbstbebrütete Eierkuchen ... - das ist der Vollgermane". Ich sehe mich erinnert an die im Vollzug der Faschismusdebatte gestellte Frage nach der deutschen Innerlichkeit.

Diese Karikatur zielt auf das ökologische Resthandeln, das sich im Privaten erschöpft. Beck weist darauf hin, wie die deutsche Gesellschaft durch die folgenblinde Industrie in unterwürfiger Geduld sich zu Müllsortierern im unbezahlten Außendienst hat machen lassen. Es sei die Frage zulässig, ob nicht manchem schulischen Müllprojekt die politische Auseinandersetzung mit Fragen der Produktbilanzen, mit Abfallentsorgungsgesetzen und mit Fragen des Recyclings mehr geholfen wäre als mit mancher Aktion zur Abfalltrennung. Von 949 befragten Berliner Schulen benutzten 666 Schulen zum Teil und 95 ausschließlich Recyclingpapier. Schreibutensilien, Tintenkiller und Klebstoffe, die frei von organischen Lösungsmitteln sind, werden zum Teil an 640 und ausschließlich an 113 Schulen eingesetzt. 292 Schulen bieten bei den Getränken keine Mehrweg-Verpackung an, teilweise tun dies 124 Schulen und ausschließlich 117. Während Abfallvermeidung an erster Stelle bei den im Projektunterricht behandelten Themen zur Umwelterziehung steht und Hunderte von Schulen ihren Müll zum Teil vielfältig sortiert getrennt sammeln, bedarf es bei der Vermeidung von Abfällen offenkundig noch einiger Verbesserungen. Und dies gilt in noch stärkerem Maße, wenn man die Inhalte der Projekte auf ihre gesellschaftlichen Lösungsansätze hin abklopft.

Das ist keine Alternative zu messenden, sammelnden und sortierenden Projekten; es ist aber festzustellen, daß Derartiges in berichteten Unterrichtseinheiten eben nicht zu finden ist. Ebenso wie 90 % der Bevölkerung umweltbewußtes Verhalten jedes einzelnen als wichtigste Voraussetzung für die Lösung von Umweltproblemen halten, verlegen sich die Schulen auf die nachträgliche Trennung von Abfall. So finden wir in der Gesellschaft denselben Mißstand vor, wie wir ihn in der Schule beklagten. Das Umweltproblem wird entpolitisiert und zur Privatangelegenheit erklärt, gelegentlich auch verklärt. Wo es gilt, marktwirtschaftliche Unsinnigkeiten als solche zu kennzeichnen und ordnungspolitische Korrekturen einzuklagen, wird individuelle Moral gepredigt.

Man wird zu Recht entgegenhalten, daß politische Bildung und Handlungsorientierung sich nicht zwingend ausschließen. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler können handelnd im Umfeld der Schule tätig werden und sich auf kommunaler Ebene in Fragen des Umweltschutzes engagieren und an der politischen Willensbildung teilnehmen. Theoretisch geht das, nur geschieht das fast nie, wie beispielsweise leider bei einer Fülle referierter schulischer Verkehrsprojekte festzustellen ist.
Es sei auch vermutet, daß die Handlungsorientierung zu einem schnellen und praktischen Beantworten aufgeworfener Fragen führt. Das kann aber leider auch zu moralisch aufrecht erscheinenden Lösungen führen, die fachlich falsch sind, wie z. B. die Bevorzugung der Mehrwegtrinkflasche aus Glas vor der aus Polyethylen. Für letztere ist nämlich auf Grund ihres deutlich geringeren Gewichts trotz ihrer Herstellung aus Kunststoff weniger Erdöl aufzuwenden als für die Glasflasche. Derartige eingeschränkte Wahrnehmung von Umweltproblemen und derartige Eindimensionalität der Betrachtung schlagen in blanken Fundamentalismus um, wenn dann z. B. bei der Problematisierung des Auto wegen der ökologischen Folgen gleich die Freude am Privatverkehr mitgegeißelt wird, statt daß menschen- und umweltgerechte Lösungen gesucht werden.

Die grundsätzlichen Annahmen der Umweltpädagogen sind zu erweitern
Dagegen lassen sich die Vielfalt der Lebensstile mit Bildungszielen wie "Aufklärung zur Verantwortung" und "Befähigung zum Diskurs" umreißen. Diese unterscheiden sich von Zielvorstellungen pädagogischer Ansätze, denen es vorrangig um die Vermittlung des "richtigen" ökologischen Handelns geht und die Verantwortlichkeit im Sinne einer Befolgung dieser inhaltlich gefüllten Normvorgaben verstehen. Umweltbildung, die zur Veranwortlichkeit in diesem Sinne befähigen will, muß neben dem Erwerb von Fachwissen und der Entwicklung von Handlungskompetenz durch direktes Erleben auch Möglichkeiten zur Entwicklung von Eigenständigkeit, Selbstreflexion und Selbstverwirklichung schaffen. Sie hat sich dabei an der jeweiligen Lebenswelt zu orientieren, d. h., es ist eine Vielfalt von pädagogischen Zugängen zu fordern, die in sehr unterschiedlichem Ausmaß intellektuelle, gefühlsmäßige, handlungsorientierte und persönlichkeitsbezogene und -bildende Aspekte beinhalten.

So beantworten sich die eingangs gestellten Fragen dahingend, daß die Bereitschaft zur individuellen Verhaltensänderung und das politische Engagement sich nicht wechselseitig ausschließen oder behindern, sondern für überdauernde Veränderungen voneinander abhängig sind. Wissen und Erlebnisse führen nicht zu veränderten Verhaltensweisen, dafür sind u. U. ganz andere Faktoren bestimmend, sie sind aber für die Anbahnung gesellschaftlicher Veränderungen und umweltgemäßer Regelungen unabdingbar notwendig. Die ökologische Wende in der Politik vollzieht sich nicht von alleine, deren Voraussetzung ist eine - wenn auch zunächst minderheitliche Gruppe - informierter Bürger.

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