Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

- umweltverträgliche und gesundheitsfördernde Ernährung in der Schule

 

Zu den in kursiv verfassten Hinweise auf Abbildungen werden bis zum Frühjahr die dazu gehörigen Abbildungen hinterlegt

 

Von Johann-Wolfgang Landsberg-Becher & Frank Seidler

 

Wurden 1970 30 % des Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgegeben, waren es 1990 nur noch 20 %. Gut essen ist kein Privileg mehr, gut essen heißt aber häufig auch zu viel und zu einseitig essen. Während in der Zeit von 1964 bis 1994 der Anteil von Kartoffeln an der Nahrung auf die Hälfte zurückging, stieg der Anteil des Fleisches um die Hälfte, nicht folgenlos.

Zur Überernährung kommen häufig auch Fehlernährung, Stress und Bewegungsmangel. 1/3 der Kosten des Gesundheitswesens entstehen durch ernährungsbedingte Krankheiten. Angesichts der nicht enden wollenden "Gesundheitsreformen" ist eine Kostensenkung mittels sinnvollerer Ernährung als bisher nicht nur ein medizinisch erfolgsversprechendes Unternehmen, sondern eine volkswirtschaftlich überfällige Notwendigkeit (die Kosten in den alten Bundesländern stiegen für ernährungsbedingte Krankheiten von 42 Mrd. DM im Jahre 1980 auf 70 Mrd. DM 1990).

In vielen Bundesländern sind Regelungen zur Ernährung in der Schule erlassen worden. Meist wird mit den salopp "Müsli-Erlass" genannten Verordnungen und Runderlassen beabsichtigt, dass keine Süßigkeiten, stark gesüßte Getränke, möglichst vollwertige Nahrung, Produkte aus ökologischem Anbau und aus der Region sowie saisonal ausgewählte Produkte vermarktet werden. Ferner wird - zumindest für der Grundschule - ein gemeinsames Schulfrühstück empfohlen, eine aus der Reformpädagogik seit einem Dreivierteljahrhundert bekannte und erprobte Schulaktivität.

Zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
1. Vielseitig - aber nicht zu viel
2. Weniger Fett und fettreiche Nahrung
3. Würzig, aber nicht salzig
4. Wenig Süßes
5. Mehr Vollkornprodukte
6. Reichlich Gemüse, Kartoffeln und Obst
7. Weniger tierisches Eiweiß
8. Trinken mit Verstand, vor allem Wasser
9. Öfter kleinere Mahlzeiten
10. Schmackhafte und nährstoffschonende Zubereitung

Das Gesundheitsamt des Kreises Unna in Nordrhein-Westfalen hat 1991 und ein halbes Jahrzehnt später 1996 die Situation in den Schulen erfasst. Das Ergebnis war ernüchternd, die Empfehlungen des Kultusministeriums wurden nicht oder kaum umgesetzt und das Getränke- und Speiseangebot nicht maßgeblich verändert. Die unteren Gesundheitsbehörden hatten nach dem Erlass der Empfehlungen unterstützende Angebote unterbreitet. Wenn dennoch die Situation bei andauernder Problemlage unverändert und damit unbefriedigend bleibt, ist über andere Angebote und Zugangsstrategien nachzudenken.

Als ein guter Zugang hat sich das Schulfrühstück erwiesen. Wenn an einer das Verhalten beeinflussenden Erziehung für eine Umwelt und Gesundheit berücksichtigende Ernährung festgehalten wird und Erfolge gezeitigt werden sollen, wird man offenkundig nicht daran vorbeikommen, dies in der Schule zu praktizieren: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

Vom traditionellen Schulverständnis her wäre zu erwarten, dass die Schüler gefrühstückt und mit einem Pausenbrot versorgt zum Unterricht in der Halbtagsschule erscheinen. Dass das tradierte Verständnis hier nicht mehr zeitgerecht ist, zeigen neben den ministeriellen "Müsli-Erlassen" eine Fülle von Beobachtungen.

Im folgenden werden Informationen
1. zu dem Wandel der Lebensstile,
2. zu den Intentionen der "Müsli-Erlasse"
3. zur Ernährungserziehung
4. zur Schulmilch
5. zum Schulfrühstück
6. zur Cafeteria
7. zu Elternabenden, Aktionstagen und zum Informationsmaterial
gegeben.

1. Wandel der Lebensstile

So vielfältig die Lebensstile sind, so unterschiedlich sind auch die Folgen des Wandels der Lebensstile. So sind bei der Zahngesundheit deutliche Erfolge zu verzeichnen, nicht jedoch bei der Konstitution.
Es zeigte sich, dass in den letzten Jahren die Zahngesundheit der Grundschüler erheblich besser geworden ist. Erklärt wird dies nicht nur mit Zähneputzen und der Früherkennung von Fehlentwicklungen bei prophylaktischen Untersuchungen, sondern vor allem mit einem Wandel der Lebensstile der Familien hin in Bezug auf die Ernährung und die Hygiene.
Andererseits ergaben Untersuchungen, dass - mit steigender Tendenz - ein Viertel der Kinder ohne Zuhaus gefrühstückt zu haben in die Schule kommen. Zwei Drittel von ihnen - also 15 % der Schulkinder - bringen auch kein Pausenbrot mit und haben dann zu Ende des Schultages bis zu 15 Stunden lang keine Nahrung mehr zu sich genommen. Dies ist auch für übergewichtige Kinder ein Problem, denn sie sind oft nicht nur über-, sondern auch fehlernährt.
Damit die Kinder tagsüber in ihrer Konzentration nicht allzusehr nachlassen, ist die Versorgung während des Vormittages zu regeln. Den Kindern Geld von zu Hause mitzugeben, damit sie sich beim nächsten Kiosk versorgen, ist keine Alternative (zu süß, zu salzig, zu fett). In den USA prägte man im Zusammenhang mit "fast food" den Begriff "junk food disease" (Müllmahlzeitkrankheit) - nicht ganz unbegründet.


Fehlernährung in Deuschland

Bereits bei der Einschulung sind zunehmend häufiger Kinder übergewichtig. 17 % der Kinder (in Berlin bereits 6 % bei der Einschulung) und Jugendlichen im Alter zwischen 3 und 17 Jahren haben mehr als 15 % Übergewicht, bei den 10 bis 12-jährigen Jungen sind es 24 % der und bei den Mädchen 16 %. Jeweils 6 % haben mehr als 25 % Übergewicht. Zusammen sind es etwas mehr als 2 Millionen. 80 % der übergewichtigen Kinder bleiben es und ca. 50 % der Bevölkerung über 40 sind es ebenfalls. Maximal 1 % der Betroffenen leiden unter einer Stoffwechselstörung. Dicke Kinder sind anfälliger gegen Infektionen und Unfälle und weisen neben frühzeitig festzustellenden orthopädischen später manifest werdenden Herz-Kreislauf-Schäden auf.

Die vielfältigen Reaktionen auf falsche Ernährung erklären sich dadurch, dass der Darm nicht nur das größte Organ und zur Verdauung, sondern zugleich auch ein leistungsfähiges Immunorgan ist. Er soll gefüllt sein, mit vielen pflanzlichen Stoffen, Obst und Gemüse. Die Vielfalt ist für die komplexen Stoffwechselprozesse wichtig, die Darmbewegung und vor allem die Darmflora, über 400 verschiedene Arten von Mikroorganismen mit 1 Billion Bakterien in einem 1 cm3 Darminhalt.

Mit Eintritt in die Pubertät verändert sich die Situation: 10-20 % der Schüler sind übergewichtig. Bei den 10-bis 13-jährigen Jungen sind 23 % untergewichtig und 35 % der Mädchen. Dieser Anteil geht bei den Jungen auf 19 % zurück, während er bei den Mädchen temporär auf 50 % steigt.


Fehlernährung führt zu verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und für den Unterricht zu sehr bedeutsamen psychischen Reaktionen: Verlust von Motivation und Aufmerksamkeit, Müdigkeit und Lustlosigkeit sowie Zunahme aggressiver und depressiver Stimmungen.

Bei den gesundheitlichen Folgen hat zum Beispiel die Abnahme des Milchverbrauchs nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu einer 25%igen Unterversorgung der Bevölkerung mit Kalzium geführt. Kalzium ist wichtig für die Ausbildung der Knochen und des Bewegungsapparats, der Zähne sowie für die Fähigkeit, dem Unterricht während des langen Schulvormittags zu folgen. Der Mangel von Kalzium in den Knochen ist später entscheidende Ursache für die Osteoporose, den Knochenschwund nach den Wechseljahren.

Ähnliches lässt sich für die Fehlernährung auf Grund

  • mangelnder Vitamine und
  • hochmolekularer Kohlenhydrate und eines
  • Übermaß an tierischem Eiweiß sowie der Deckung des Energiebedarfs durch
  • Fett und
  • niedrigmolekulare Kohlenhydrate feststellen.

Viel von dem wird be- und oft ein stärkeres Engagement der Familien eingeklagt. Dies ist etwas selbstgerecht. Auch die Familien haben sich gewandelt und sind teilweise objektiv nicht in der Lage ihre Lebensweise deutlich zu verändern. Wir haben bei zurückgehenden Einwohnerzahlen eine starke Tendenz zur Kleinfamilie mit einem Kind und deutlich mehr Trennungen der Eltern. Diese Tendenz zur Individualisierung wird oft beklagt, ist sie aber nicht auch Ausdruck und Folge von gewonnener Unabhängigkeit, mehr Selbstständigkeit und einem Zugewinn an Autonomie, besonders der Frauen? In Ballungsgebieten leben teilweise schon über die Hälfte der Oberschüler nicht mehr mit beiden Eltern zusammen.

Dies bedingt die Tendenz zur Sozialarbeit in den Schulen, deren Lehrkräfte hierzu nicht ausgebildet und deren Gebäude dafür nicht ausgestattet sind. Dort beginnen dann auch die Probleme, mit denen sich viele Schulen herumschlagen, wenn sie eine umwelt- und gesundheitsverträgliche Ernährung ihrer Schülerschaft sichern und ihrem gesundheitserzieherischen Auftrag folgen wollen.

2. Intentionen der "Müsli-Erlasse"
Vor der Praxis einer umwelt- und gesundheitsverträgliche Ernährung in den Schulen sollen zunächst die Intentionen der "Müsli-Erlasse" dargestellt werden: Gesundheitsfördernd, umweltverträglich, regional und saisonal.

Neben den gesundheitlichen Aspekten sind es soziale und ökologische Aspekte, deretwegen die Ernährung mit den "Müsli-Erlassen" in der Schule thematisiert wird. Die drei wichtigsten Quellen für die Belastung der Atmosphäre sind in Deutschland die ineffektive Energieversorgung der Gebäude (auch der Schulen), der überdimensionierte Individualverkehr (auch der Lehrer) und das Übermaß intensiv angebauter Lebensmittel und verzehrten Fleischs (wir), nicht die anderen (die Industrie).

Wo sind die Probleme bei den Lebensmitteln?

  • Bei der Erzeugung: Pestizide, Düngemittel, Energieverbrauch, Monokulturen, Entwicklungsländer
  • Bei der Verarbeitung: Energieverbrauch, Rohstoffe, Emissionen, Zusatzstoffe
  • Bei der Vermarktung: Emissionen inkl. Lärm, Energieverbrauch, Versiegelung, Verpackung, Werbung
  • Beim Verzehr: Genuss, Nährstoffe, Sek. Pflanzenstoffe, biogene Gifte, Rückstände, Kontaminanten

Vermarktung und Verzehr zielen unmittelbar auf den Einzelnen, während Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung unmittelbar auf das soziale und das Ökosystem wirken. Diese Trennung ist es, die die Vermarktung von Ökoprodukten schwer macht. So geben auch die Kunden von Naturkostläden und Reformhäusern mehr als doppelt so häufig gesundheitliche Gründe als ökologische für ihr Einkaufsverhalten an. Anzumerken bleibt hierzu, selbst wenn - was äußerst umstritten ist - ökologisch produzierte Lebensmittel gesünder sind als die konventionellen, sind die unmittelbaren ökologischen Auswirkungen dieser Produktionsweise weitaus bedeutender als die gesundheitlichen.

Lebensmittel aus ökologischem Landbau sollen

  1. ohne Zusatz von Chemikalien die Bodenfunktionen erhalten,
  2. Natur und Landschaft schützen,
  3. Energie- und Rohstoffquellen schonen,
  4. das Grundwasser schonen, indem kein Kunstdünger mehr ausgebracht und keine Gifte mehr eingesetzt werden und
  5. eine Milch- und Fleischproduktion ohne Einsatz von Antibiotika ermöglichen.

Zum Ausgleich dieser Einschränkungen und zur Sicherung des Ertrages der ökologische Landwirtschaft werden durch die Pflanzung von Feldgehölzen die biologische Schädlingsbekämpfung gefördert, mittels mechanischer Bodenbearbeitung und Abdecken des Bodens und Mulchen Unkräuter eingedämmt und mittels der Fruchtfolge, bei der nacheinander unterschiedliche Pflanzen auf einem Acker angebaut werden, die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Letzteres wird ferner durch die organische Düngung mit Mist und Gründüngung sowie durch das Mulchen unterstützt, was den wegen der Belastung des Grundwassers ökologisch äußerst problematischen Einsatz leicht löslicher Kunstdünger überflüssig macht.

Die Tierhaltung folgt unter anderem folgenden Prinzipien:

  1. Sie gewähren den Tieren Auslauf. Käfighaltung und ständiges Anbinden der Tiere sind verboten,
  2. die Haltung der Tiere auf Stroh sorgt für deren Wohlbefinden. In der Massentierhaltung stehen die Tiere meist auf Metallrosten, was eine Säuberung der Ställe erleichtern soll.
  3. Dem Futter der Tiere werden keine Hormone, Tierkörpermehle oder Antibiotika beigemengt.

Es wird bewusst auf Maximalerträge verzichtet, weil diese entweder den Boden zerstören oder/und das Grundwasser - unser Trinkwasser - durch die Gülle, Kunstdünger und Gifte belasten. Das kostet natürlich seinen Preis, man muss jedoch auch bedenken, dass das Öko-Fleisch z.B. weniger Wasser enthält und man kleinere Stücke kaufen kann, ähnliches gilt für Kartoffeln etc..

Dass dieser Schutz dringend geboten ist, zeigen ein paar Zahlen: In über der Hälfte aller deutschen Wassergewinnungsanlagen wurden Pflanzenschutzmittel festgestellt; in 15 % dieser Anlagen wurde der Grenzwert für Pestizide überschritten (in Bayern 22,6 %, EU-weit bereits 30 %). Aus diesen Gründen haben viele Wasserwerke begonnen, eigene landwirtschaftliche Betriebe auf ökologischen Landbau umzustellen und die Umstellung privater landwirtschaftlicher Betriebe und die Vermarktung ökologischer Erzeugnisse zu fördern. Die Unkrautvernichtungsmittel haben seit den 50iger-Jahren fast die Hälfte der Wildpflanzenarten auf den Äckern und Feldern ausgerottet.

In Österreich werden heute 12 %, in der Schweiz 5,5 % und in Deutschland 2 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen ökologisch bewirtschaftet. Das schlechte deutsche Ergebnis ist unter anderem darin begründet, dass hier eine Vielzahl von Vereinigungen unter eigenem Namen und mit eigenen Markenzeichen ihre Produkte vermarkten. Nachdem es für pflanzliche Lebensmittel seit 1991 und für tierische Produkte ab 2000 EU-Richtlinien gibt, die die Bezeichnungen "ökologisch", "biologisch", "naturnah" und "organisch" schützten, wurde seitens einer Vielzahl von Organisationen zur Information der Käufer und zur Förderung des Umsatzes ein gemeinsames Prüfsiegel vereinbart:

Die Bevorzugung regionaler und saisonal ausgewählter Produkte dient der Minderung des Energieaufwandes und ist ein Beitrag für eine ortsangepasste Landwirtschaft gegen übermäßige Konzentration und damit verbundene Intensivierung und Zunahme der Belastungen.

Eine gänzlich anderes Thema wird mit dem Begriff Vollwert angesprochen. Hierbei handelt es sich um eine gesündere Form der Ernährung, was aber nichts mit Ökologischem Landbau zu tun hat. Die Prinzipien der Vollwerternährung sind:

  1. 50 % der täglichen Nahrung sollen nicht erhitzt sein,
  2. der Verzehr von Vollkorngetreide, reichlich Gemüse, Obst, Kartoffeln und Hülsenfrüchte,
  3. der Verzehr von Milch und Milchprodukte, Fleisch- und Fischwaren sowie Eiern nur als sinnvolle Ergänzung, nicht als regelmäßiger Bestandteil der Nahrung,
  4. die Aufnahme von wenig Fett und
  5. möglichst wenig aufbereitete Nahrung sowie
  6. die Aufnahme von genügend Flüssigkeit, insbesondere Wasser.


3. Ernährungserziehung

Die Schule hat die Schüler zu einer kritischen Persönlichkeit heranzubilden. Wandel von Alltagskultur und Lebensweisen sind im Fachunterricht und Unterrichtsprojekten zu thematisieren. Hierzu gehören Unterrichtssequenzen zu einer umweltverträglichen und gesundheitsfördernden Ernährung. Dies ist wenig sinnvoll, wenn in der Schule anders gepredigt als gegessen und getrunken wird. Das gilt selbstredend ebenso für umweltfreundliche und gesundheitsfördernde Ernährung bei Schul- und Klassenfesten, Wandertagen und Schulfahrten.

Divergierende und konkurrierende Lehrmeinungen, Diäten und Ernährungsrichtungen zeigen modische oft nur allzu modische Trends, verunsichern aber Ratsuchende mehr, als dass sie helfen und sind wenig überzeugend für Heranwachsende. Auch hier hat die Schule einen Bildungsauftrag.

Das Ernährungsbewusstein der Deutschen stieg, das Ernährungsverhalten blieb jedoch unverändert. Falsche Ernährung ist nicht auf mangelnde Information oder fehlendes Wissen zurückzuführen. Das Ernährunsverhalten wird durch eine Fülle unterschiedlicher Faktoren bedingt:

  • Oralität wird früh gelernt.
  • Essen und Trösten hängen oft zusammen.
  • Liebe geht durch den Magen.
  • der Tag wird mit nahezu reflektorischen Naschereien gemeistert.
  • das Essverhalten ist identitätsstiftend ("ein guter Esser").
  • das Essverhalten wird in großem Ausmaß kopiert (für Jugendliche ist Kochen weitaus mehr als Biertrinken oder Rauchen mit Erwachsensein gekoppelt; dies gilt es zu nutzen).
  • die Folgen von Fehlernährung sind nicht unmittelbar spürbar.
  • Ich-Ferne und Nachzeitigkeit bei ernährungsbedingten Krankheiten sind kein Feed-back für auf Erfahrungen basierendes Lernen.
  • Einkauf, Kochen und Haushaltsführung sind gegen Verhaltensänderungen recht stabile Gewohnheiten.
  • immer mehr verarbeitete Lebensmittel werden zunehmend häufig gekauft.
  • modische Lebensmittel sind prestigegebend.

Ernährungserziehung kann in einem derart vieldimensionalem Kontext nicht normativ sein, sondern zielt auf Menschen in ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen, der große Salatanteil in der türkischen Küche macht z.B. Vollkornprodukte als Fladenbrot weniger notwendig als dies in der tradierten deutschen Küche der Fall ist. Letztlich zielt Ernährungserziehung auf einen Zuwachs von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung.

Irrig ist die Annahme, dies allein kognitiv lehren zu können. "Erleben und Genießen" sind Maximen vorwärtsgewandter Gesundheitserziehung, Essen muss nicht nur schmecken, es muss sogar Spaß machen. Ernährungserziehung ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Alltagserfahrung, die Schüler müssen ihre eigenes Verhalten wahrnehmen und erkennen, inwiefern sie sich modischen Strömungen unterwerfen, sie sollten für die Wahrnehmung ihrer Bedürfnisse sensibilisiert und entscheidungsfähiger gemacht werden. Sensorische und affektive Komponenten spielen dabei eine große Rolle.

So schlicht und einfach es klingt, ein derartiges Konzept hat seine Tücken:

  • Überdauernde Verhaltensänderungen setzen Einstellungswandel voraus. Bei Fragen der Ernährung gewähre man Zeiten der Gewöhnung: Das zu Lehrende muss im Sinne des Wortes schmackhaft gemacht werden.
  • Individuelles Lernen schließt Rückfälle nicht aus, dennoch oder gerade deshalb sollten Zwang und Vermittlung von Schuldgefühlen strikt unterbleiben.
  • Das soziale Umfeld ist zu beachten, damit die Schüler nicht in einen ggf. vermeidbaren Konflikt gestoßen werden und -besonders wichtig -- damit sie mit dem intendierten Verhalten nicht Außenseiter-Rollen übernehmen oder gar als Spinner bezeichnet werden. Mit zunehmendem Alter bestimmen die Jungendlichen ihre Versorgung selbst. Damit gewinnen Einflüsse aus der Werbung und Gruppenzwänge ein deutlich größeres Gewicht. Manch ein Schüler ist auf Grund seines Brotpaketes zum Außenseiter geworden.
  • Aus dem Pädagogen-Einmaleins: Learning by doing.
  • Kognitive und affektive Lernfelder sind zu aktivieren, das ist dann nicht nur Wissen und Schmecken, sondern z.B. - was in vielen Naturkostläden nicht beachtet wird - riechen.

Die eigene Erfahrung ist schließlich das Entscheidende, weswegen dem Essen in der Schule für die Ernährungserziehung eine derart große Rolle zukommt. Weitaus häufiger als uns bewusst und wohl auch lieb ist, verändern wir unsere Einstellungen erst auf Grund unseres konkreten Handelns und nicht auf Grund vorheriger Einsicht, so hat eine sinnvolle Organisation des Essens in der Schule einen enormen Lernanreiz.

4. Schulmilch
Die Versorgung die Schüler mit Milch ist wichtig und wird seitens der EU gefördert. Dass die Milch manchmal dennoch teurer ist als im Einzelhandel, bleibt unverständlich. Aus gesundheitlichen Gründen sind drei Punkte zu berücksichtigen.

  • Bei der zunehmenden Anzahl allergischer Reaktionen ist Frischmilch der Vorzug zu geben, weil diese höhermolekulare Eiweißkörper als H-Milch oder gar Sterilmilch enthält.
  • So beliebt der Kakao auch ist, die in ihm enthaltene Oxalsäure mindert drastisch die benötigte Aufnahme von Calcium.
  • Kinder wünschen die süßen Milch-Mix-Getränke der Molkereien. Es sollte jedoch bedacht werden, dass es in den meisten Schulen nicht möglich ist, sich nach dem Pausen- oder Klassenfrühstück die Zähne zu putzen. Aus diesem Grunde sollten Schulkinder möglichst wenig Süßigkeiten während des Schultages zu sich nehmen (aber diese sollten nicht grundsätzlich verboten werden, das schafft Heißhunger danach).

Die Organisation der Schulmilchversorgung ist relativ einfach und wird seitens der Molkereien oder ihnen angegliederten Gesellschaften gefördert. Die Förderung geht soweit, dass ein u.U. benötigter Kühlschrank gestellt wird. Sollte dies nicht möglich sein, kann man auch einen gebrauchten kaufen, sofern nicht irgendein Elternpaar seinen sowieso abgeben möchte.

Zu organisieren sind die Milchbestellung und -- verteilung in der Klasse. Es mag sinnvoll sein, für die Ausgabe und Verteilung ggf. das Pausen-Klingelzeichen zu verändern. Dazu bedarf es der Absprache im Kollegium und besonders mit den Kollegen, die in der 2. Std. unterrichten.

Als Probleme können sich zeigen:

  • Zeit und Mühe, das Milchgeld einzusammeln
  • Streit zwischen den Kindern bei unberechtigter Milchentnahme
  • Verschüttete Getränke und Fettflecken auf den Tischen und Büchern
  • Langsam- und Schnellesser, Beschäftigung suchende Ungeduldige
  • Von den Kindern gewünschte veränderte Sitzordnung
  • Kritik an der Qualität des Frühstücks untereinander (soziale Spannungen)
  • Einige bringen grundsätzlich nie etwas mit (Elternhaus)

Wenn neben der Schulmilch Beiprodukte vermarktet werden, sind Einkaufspläne zu erstellen, die Warenbestellung vorzunehmen, u.U. Fragen des Transports zu klären, die Anlieferung abzunehmen, die Ware zu lagern und die Buchführung zu organisieren. Das geschieht oft seitens der Hausmeister kann aber auch seitens der Schüler- oder Lehrerschaft oder Eltern erfolgen. Zu der verwaltungsmäßigen Abwicklung erfolgen genauere Ausführungen bei der Darstellung selbstverwalteter Cafeterien.

5. Schulfrühstück
Das Pausenbrot ist mindestens ebenso bedeutend wie das Frühstück (sofern es das überhaupt gibt) Zuhause. Der Verzehr des Pausenbrots auf dem Schulhof ist jedoch nur eine halbherzige Angelegenheit,

  1. denn die Schüler wollen in Ruhe und Gesellschaft essen,
  2. sie vergessen während des Spielens und Tobens ihr Pausenbrot,
  3. in der Gemeinschaft eines in der Klasse organisierten Schulfrühstücks können sie ihr Pausenbrot auch tauschen oder teilen,
  4. das Frühstück wird so zur Gewohnheit
  5. Sozialkontakte werden zwischen den Schülern und zwischen ihnen und den Lehrern weiter entwickelt und
  6. es muss neben dem Frühstück auch eine Tobepause geben.

Wenn das gemeinsame Schulfrühstück eingeführt wird, ist eine zunehmende Steigerung vom gelegentlich zum regelmäßigem Schulfrühstück und von den Aktivitäten u.U. zunächst nur einer Klasse bis zu denen der ganzen Schule ein erstrebenswerter Prozess. Sollten die anderen Lehrer jedoch keine Frühstückspause einführen, ist zur Vermeidung kollegialer Konflikte besonders auf die organisatorische Vorbereitung zu achten. In jedem Fall sollten möglichst viele Partner gewonnen werden.

Tut Sinnvolles und redet darüber

  • Die Eltern sind zu gewinnen.
  • Schulleitung und Kollegium sind umfassend zu informieren und sollten mittelfristig für das Schulfrühstück geworben werden.
  • Von Anfang an ist den Schülern zu erklären, warum sie am Anfang der Pause noch essen, während die anderen draußen herumtoben. Besser ist es, wenn das Frühstück während des Unterrichts verzehrt wird.
  • Dafür ist die zweite Stunde zu kürzen, die Zustimmung der betroffenen Kollegen einzuholen und dies genehmigen zu lassen.
  • Eltern sind auf Nahrungsmittelallergien der Kinder hin zu befragen.
  • Auf richtig zusammengestellte Pausenbrote kann hingewiesen und damit Schüler-Eltern-Gespräche darüber angeregt werden

Sinnvoll ist es, dass jede Form von schulischer Ernährung unterrichtlich begleitet wird. Das muss im Kollegium abgesprochen werden, weil es -- jeder baut auf den anderen -- sonst nicht geschieht.

Gelegentliches gemeinsames Frühstück ersetzt die übliche individuelle Pausenversorgung durch gemeinschaftliche Veranstaltung. Besondere äußere Anlässe (Geburtstag, Halbjahresende), die Klassensituation oder die spätere Einführung eines regelmäßigen gemeinsamen Pausenfrühstücks können Anlass sein. Hierzu sind im Vorfeld Schulleitung und Eltern zu benachrichtigen. Es ist mit den Schülern genau zu planen. Wenn das Frühstück schon nicht täglich, sollte es doch mittelfristig regelmäßig gemeinsam eingenommen und so etwas wie ein Ritual entwickelt werden (der Mangel an Ritualen und eingehaltenen Vereinbarungen ist ein Element so oft beklagter dissozialer Tendenzen).


Tips zur Pausenregelung

Aus organisatorischen Gründen ist die zweite Stunde für das Schulfrühstück optimal, ohne dass die aktive Pause und Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Dazu ist die Unterrichtszeit in der zweiten Stunde zu kürzen und dies genehmigen lassen. In einer Reihe von Bundesländern ist dies im Rahmen der Müsli-Erlasse auch möglich gemacht, nirgends grundsätzlich verboten worden.

Unter keinen Umständen darf das Schulfrühstück bei seiner Einführung zu Lasten des Spiels in der Pause gehen. Haben die Kinder zwischen Frühstück und Spiel zu wählen, entscheiden sie sich meist für Letzteres und man hat den Bemühungen um eine sinnvollere Ernährungsweise einen Bärendienst erwiesen. In der ersten Klasse wird eine Viertelstunde benötigt, später reichen 10 Minuten gut aus.

Sollte sich die ganze Schule am gemeinsamen Schulfrühstück beteiligen, können je 5 Minuten von der 2. und 3. Stunde dafür verwandt werden und die Pause beginnt 5 Minuten später. Es wäre problematisch, für die Einführung eines gemeinsamen Schulfrühstücks die Schule erst später zu beenden. Im Zusammenhang mit einer Veränderung der ersten Pause, sollte im Blick auf den Personennahverkehr der Schulbeginn kritisch geprüft werden, ein Beitrag zur Verkehrserziehung.


Das tägliche gemeinsame Schulfrühstück ist demgegenüber eine zentrale gesundheitserzieherische Aktivität genauso wie tägliche Bewegungszeiten und aktive Hofpausen. Sie setzen eine fachliche Vorbereitung der Lehrkräfte voraus, wobei u.a. die für die Fortbildung zuständigen Landesinstitute, die Verbraucherberatung und die Krankenkassen hilfreich zur Seite stehen. Ferner ist nach eingehender Beratung in der Schule mit dem Kollegium, der Elternschaft und der Schulleitung die Organisation abzustimmen: Welche Klassen nehmen teil, Pausenregelung, Säubern der Räume.

Mit Aktivitäten wie gemeinsames Einkaufen und Zubereiten kann das gemeinsame Schulfrühstück erweitert werden, ein Beitrag zur Verbrauchererziehung. Das gilt auch für von Lehrkräften -- in ausreichender Menge - mitgebrachte Lebensmittel. Ausländische Schüler können Nahrungsmittel oder Speisen ihrer Heimat mitbringen, das weckt nicht nur Neugier und Appetit, sondern stiftet mehr Interesse aneinander, ein Beitrag zur interkulturellen Integration. Wenn Schüler keine Brote mitgebracht haben, geben andere ab, sie teilen und tauschen, statt wie so oft wegzuwerfen. Es können neue Frühstücksvarianten ausprobiert und wechselseitig andere Klassen eingeladen und bewirtet oder für die Geburtstagskinder ein Wunschfrühstück erstelt werden.